Rahmen ohne Bild – Hans Aris


Im Rahmen der Ruhrfestspiele 2023 bot das Projekt „Wer warst du, E.?“ in Koproduktion mit dem Büro für Eskapismus einen Stadtrundgang der besonderen Art. Ausgestattet mit Smartphones und Kopfhörern konnte man die vertraute Recklinghäuser Umgebung erkunden – doch geleitet von auditiven Impulsen, mal erzählend, mal fragend, versetzt in eine Zeit vor 90 Jahren, in die Zeit des Nationalsozialismus. Zwei Stationen dieses Stadtrundgangs befanden sich auch auf dem Gelände des Gymnasium Petrinum. Der Gedenkstein für Isbert Feuerstein auf dem Schulhof erinnerte an den letzten jüdischen Schüler, der das Petrinum 1938 verlassen musste. Im Foyer des Petriner Altbaus wurde ein leerer Bilderrahmen angebracht, der an das Schicksal von Hans Aris, Abiturient im Jahr 1936 am Petrinum, erinnerte. Die Schulgemeinschaft hat entschieden, auch nach Ende des Projektes „Wer warst du, E.?“ den Bilderrahmen im Altbau-Fover zu belassen und durch eine Erläuterungstafel dauerhaft an die besondere Geschichte Hans Aris' und seiner Mitschüler der Abiturientia 1936 zu erinnern.

Aris

Der vollständige Text der Erklärungstafel, erarbeitet von Hao-Wen Stefan Chen aus der Klasse 10a (2024), ist im Folgenden wiedergegeben.

Zum Gedenken an Hans Aris

*21.03.1916 in Suderwich, †18.06.1985 in Oakland

Ostern 1936 letzter jüdischer Abiturient am Gymnasium Petrinum

Warum ist dieser Rahmen ohne Bild? Der leere Bilderrahmen steht für eine solidarische Akti-on Petriner Schüler für den letzten jüdischen Abiturienten Hans Aris im Jahre 1936, die ge-prägt ist von Mitgefühl, Haltung und Respekt gegenüber ihrem Mitschüler in bereits mensch-verachtenden Zeiten der nationalsozialistischen Diktatur. Hans Aris lebte als Sohn der Kauf-leute Max Aris und Hanny Aris in Suderwich und besuchte ab Ostern 1926 das Petrinum. Seine Familie erlebte die Machtergreifung der Nationalsozialisten ab 1933 hautnah durch das Hissen der Hakenkreuzflagge in der Stadt, die Anordnung, das „Horst-Wessel-Lied“ zu singen und die Verwendung des „Deutschen Grußes“. Wenngleich im eigenen Dorf, so beschrieb Hans Aris, der erstarkende Antisemitismus zunächst kaum spürbar war, konnte sich die Schule der nationalsozialistischen Gleichschaltung nicht entziehen. Für das vermeintlich ge-ringe „Engagement“ der Petriner Schüler in NS-Organisationen wurden Schulleiter Dr. Wil-helm Hülsen und das Kollegium verantwortlich gemacht. Dr. Hülsen wurde 1934 durch den der NS-Führung ergebenen Paul Wenner als Schulleiter ersetzt, welcher die Ausgrenzung der jüdischen Schüler vorantrieb, so auch bei Hans Aris. Wenner verweigerte ihm die Teilnahme an der Abiturfeier im Jahre 1936 und ließ der Familie Aris das Reifezeugnis nur per Post zu-schicken. Doch dies stieß bei Hans Aris‘ Mitschülern, die ihn als einen heiteren und beschei-denen Kameraden sehr schätzten, auf Widerstand. Die Klassengemeinschaft forderte seine Teilnahme an den offiziellen Abiturfeierlichkeiten ein. Schulleiter Wenner jedoch sagte, offen-kundig brüskiert wegen dieser für ihn unerhörten Forderung, für alle Absolventen des Abitur-jahrgangs den geplanten Festakt ab: Alle Abiturienten anno 1936 mussten ihr Zeugnis beim Hausmeister abholen – damit blieb auch das offizielle Foto der Abiturientia 1936 aus und der Bilderrahmen leer.

Hans Aris half dies auf seinem weiteren Lebensweg freilich nicht. Im Curriculum Vitae zur Reifeprüfung vermerkte er: „1933 machte alle meine Pläne zunichte, da es für mich als Jude unmöglich wurde, eine Staatsprüfung abzulegen“. Seinem Berufswunsch als Apotheker durf-te er nicht nachgehen. Gewaltsame Übergriffe gegenüber Juden nahmen zu, so dass Aris in der „Reichspogromnacht“ im Polizeipräsidium in „Schutzhaft“ genommen wurde. Nur ein Aus-reisevisum nach Paraguay befreite ihn. Nach der Zerstörung ihrer Existenz floh Familie Aris über Berlin nach Shanghai (China) und wanderte im Juli 1947 in die USA aus.

Dieser leere Bilderrahmen mahnt die Petriner Gemeinschaft, im Gedenken an Hans Aris die Unmenschlichkeit, die er erleben musste, nie zu vergessen und sich an Taten von Menschen, die trotz der eigenen Gefahr immer eine helfende Hand reichten, ein Beispiel zu nehmen.