„Ihr müsst eine innere Haltung haben!“ – die Klasse 10A zu Gast im Polizeipräsidium Recklinghausen

29. Nov 2023 Zurück zu Aktuelles

Der kalte Wind pfeift den Zehntklässlerinnen und Zehntklässlern um die Ohren, als sie am 15.11.2023 auf dem Vorplatz des Polizeipräsidiums Recklinghausen stehen und den Ausführungen des Leiters der Polizeiwache, dem Ersten Polizeihauptkommissar Herrn Wilhelm, lauschen: „Hier stand Polizeipräsident Vogel in der Nacht zum 10. November 1938. Vor ihm drei jüdische Familien, Eltern, Kinder, Großeltern und er schlug sie mit seiner Reitgerte, während sie mit ansehen mussten, wie in der Limperstraße die Synagoge von der Feuerwehr in Brand gesetzt wurde. Danach wurden sie in die Haftzellen im Keller des Polizeipräsidiums verschleppt. Ihr steht an einem Tatort.“ Denn an den Gräueltaten in der Zeit des Nationalsozialismus hatte sich auch die Recklinghäuser Polizei beteiligt. Zum 100-jährigen Bestehen der Kreispolizeibehörde RE zeigt die neu ausgerichtete Dauerausstellung „WiR Erinnern“ einen „Einblick in die bewegte Geschichte der Polizei“.

So nehmen Herr Wilhelm und Herr Bender, der ebenfalls an der Neukonzeption der Ausstellung beteiligt gewesen ist, die Jugendlichen nicht nur mit hinein in das denkmalgeschützte Gebäude und verweisen dort auf den historischen Pfad in Form von großformatigen Plakaten, sondern halten bereits nach wenigen Schritten im Flurbereich inne und fordern die Klasse auf, an Albert Funk und Herman Vörding zu denken. Beide waren frei gewählte Reichstagsabgeordnete der KPD, in den Augen der NSDAP aber widerständische Oppositionelle, die mundtot hätten gemacht werden müssen. Auf dem Vorplatz hatten die Schülerinnen und Schüler bereits Stolpersteine zum Gedenken an die beiden Politiker wahrgenommen, die sich aufgrund der brutalen Behandlung während der Verhöre im Jahre 1933 aus dem Fenster des dritten Stocks gestürzt hatten – oder gestürzt worden waren. „‚Die Hölle von Recklinghausen‘ wurde das Präsidium deswegen auch genannt“, führt Herr Wilhelm weiter aus, „Opfer des NS-Regimes wie Vörding und Funk wurden bereits hier, über diese Gänge, in einem wahren Spießrutenlauf zu den Verhören getrieben. SA-Leute prügelten auf sie ein, die Polizisten geboten dem keinen Einhalt, sondern schleiften sie hinunter über die Treppen in den Keller.“

Weiter wird die Gruppe in den historischen Sitzungssaal des Polizeipräsidiums geführt. Heute wird dieser für Dienstbesprechungen, gemeinsame Konzeptionsbearbeitungen für Einsätze und die Beratung der Polizeipräsidentin genutzt. Denn im Rückblick auf die Haltung und die Handlungen der Polizei während des NS-Regimes hat sich die Institution Polizei und ihre Einsatzleitung verändert – musste sich verändern, um für die Werte des Grundgesetzes einzustehen. So besuchen beispielsweise junge Polizeibeamtinnen und -beamte den Geschichtsort „Villa ten Hompel“ in Münster, der von den Verbrechen der Ordnungspolizei im Zweiten Weltkrieg erzählt, wie auch von der Beteiligung an den Genoziden an Juden sowie Sinti und Roma. Auch das Recklinghäuser Polizeibataillon 316 war an diesen Verbrechen beteiligt – ein Verbrechen, über das aufgeklärt werden muss. Damals, in Recklinghausen 1938, sei Polizeipräsident Vogel im Sitzungssaal im feinen Mantel umherstolziert, habe Befehle an seine Mannschaft weitergegeben, die bei Berichten über die Verhaftungen der jüdischen Familien gejohlt und geklatscht habe. „Auch dieser Raum ist ein Tatort, denn hier wurde die Würde des Menschen viel zu oft missachtet. Das darf nie wieder passieren. Ihr hingegen müsst einen inneren Kompass haben, eine innere Haltung und ein positives Menschenbild. Diese Haltung muss euch auf Basis unseres Grundgesetzes sagen, wo eine rote Linie überschritten wird!“, gibt Herr Wilhelm den Jugendlichen mit auf den Weg.

Von: Gesa Sebbel