„Meine Mutter rettete uns durch ihren eisernen Willen!“ – Geschichtskurs der Stufe Q1 zu Gast im „Erzählcafé für NS-Verfolgte“

20. Feb 2024 Zurück zu Aktuelles

Die Belagerung der Stadt Leningrad (seit 1991 wieder St. Petersburg) durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg (1939-1945) dauerte vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944, im Norden riegelten finnische Truppen die Stadt ab. Zinovy Goldberg war damals noch ein Kind: „Die Zeit der Blockade habe ich als so leidvoll, schrecklich, grausam und schlimm empfunden. Diese schreckliche Hungersnot kann man sich heute nicht vorstellen. Die Menschen starben an Ort und Stelle, auf der Straße.“ Zinovij bekam – wie grundsätzlich alle Kinder und nicht-arbeitenden Familienangehörigen – nur 125 Gramm Brot. Seine Mutter war es, die durch ihren „eisernen Willen“, wie Zinovij sagt, die Rationen am Esstisch behutsam aufteilte und den Kindern verbot, alles auf einmal zu essen.

Für ihn ist es seine Mutter, die sein Überleben und das seiner Schwester sicherte: „Damit wir diese jämmerlichen 125 Gramm, also eine Scheibe Brot, nicht auf einmal essen, hat sie dieses Brot vor uns hoch oben im Schrank versteckt. Und dann hat sie nach und nach kleine Stücke herausgegeben, um dieses unendliche Verlangen, alles auf einmal zu essen, irgendwie auszutricksen.“ Diese Erinnerungen an das, was damals passiert ist, wie er es erlebt hat, wie seine Mutter, seine Schwester und er überlebt haben, das kann Zinovy sein Leben lang nicht vergessen. Und er ist so entschlossen, davon zu erzählen: Im „Erzählcafé für NS-Verfolgte“, welches vom „Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V.“ angeboten wird und bei dem am 14.02.2024 ein Geschichtsgrundkurs der Stufe Q1 zu Gast waren. Dort wurden die Schülerinnen und Schüler Zeugen einer sehr eindrücklichen Begegnung mit dem über 90-Jährigen, der sich hoch erfreut über die vielen Jugendlichen zeigte, die seiner Überlebensgeschichte gespannt lauschten.

„Ich fand es sehr eindrücklich, einen Zeitzeugen tatsächlich zu treffen. Sein Schicksal ist mir sehr nahe gegangen“, resümierte ein Schüler. Die Einkesselung der Stadt durch die deutschen Truppen mit dem Ziel, die Leningrader Bevölkerung systematisch verhungern zu lassen, gilt als eines der eklatantesten Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht während des Kriegs gegen die Sowjetunion: In etwa verloren mehr als eine Million der Zivilbevölkerung der Stadt aufgrund der Blockade ihr Leben, etwa 90 % dieser Opfer verhungerten. Weitere kamen durch die Bombardierung der Infrastruktur, Brandbomben und massiven Artilleriebeschuss ums Leben.

Von: Gesa Sebbel